„Police have no right to murder“

Sammy Yatim ist tot. Erschossen von einem Polizisten. Es ist Freitag kurz nach Mitternacht, der 18-Jährige steht in der Tür einer leeren Straßenbahn, er hat ein Messer in der Hand. Mehrere Polizisten umstellen das Fahrzeug. „Lass das Messer fallen“, rufen sie: „Lass das Messer fallen!“ Plötzlich fallen drei Schüsse. Nach wenigen Sekunden sechs weitere Schüsse in schneller Folge. Sammy sackt zusammen. Zwei Polizisten hasten zum Verletzen und setzen ihre Elektroschocker ein. Der Junge ist tot.Bild 1Neun Schüsse. Auf einen Jugendlichen, der keine Gefahr ist. Der die Polizisten zwar mit „Fucking pussy“ beschimpft, aber nicht angreift. Warum musste Sammy sterben? Diese Frage bewegt Toronto.Zwei Videos auf Youtube dokumentieren das Sterben von Sammy Yatim. Sie verstören. Mehrere Polizisten umstellen die Fronttür der Bahn. Fast zwei Dutzend sind es. Was geschieht da? Warum schießt einer der Beamten plötzlich? Fühlt er sich von Sammy mit einem kleinen Messer bedroht? Halten er und seine Kollegen ihn für unberechenbar, für gefährlich? Für so gefährlich, dass sie ihn töten?DSC_7204Mehrere Beamte stehen teilnahmslos herum, während Constabler James F. schießt. Sie sind sich sicher, in keiner Gefahr zu schweben. Sie sind sicher: Da schießt einer von uns.

Die Beamten versuchen offensichtlich zu keinem Zeitpunkt, Sammy zu beruhigen. Auf Zeit zu spielen. Sie deeskalieren nicht, sondern brüllen: Messer weg, oder wir schießen. Leben oder Tod. Sie sperren die Straße nicht ab, sie warten auch nicht auf psychologisch geschulte Beamte. Sie handeln wie Cowboys.Bild 5Constabler James F. und Kollegen sind Streifenpolizisten. Sie kämpfen gewissermaßen an der Front zwischen Gut und Böse. Offensichtlich sind sie kaum darin geschult, zu reden. Sie schießen lieber. „Bullet“ statt „Brain“.

Am Sonntag liegen Blumen an der Kreuzung Dundas Street und Grace Street, wo Sammy starb. Menschen haben nach einem Demonstrationszug Kerzen aufgestellt. „Police have no right to murder“ steht auf einem Plakat, „Shoot to kill the only option?“, „Stop killing teenage boys“.Bild 3Sammy kam vor 5 Jahren aus Aleppo in Syrien nach Kanada. Hier lebte sein Vater. Die beiden verstanden sich in letzter Zeit immer schlechter, so dass der Junge im Juni auszog. Freunde und Nachbarn beschreiben den Jungen als hilfebereit, freundlich, ein bisschen schüchtern. Er raucht freilich Marihuana und hängt mit einer zwielichtigen Clique ab.

Er pendelt zwischen zwei Kulturen. Er hat Probleme, in diesem fremden Land Fuß zu fassen. Jedes Jahr fliegt er nach Syrien, um seine Freunde zu treffen, die er vermisst. Doch niemand kann erklären, warum Sammy in der Straßenbahn Linie 505 das Messer zieh. Seine Mutter Sahar Bahadi sagt, er sei nicht psychisch krank. Vielleicht stand Sammy schlicht unter Drogen.DSC_7211Warum schoss Constabler James F, dessen Name und Portraitfoto der „Toronto Star“ auf der Titelseite veröffentlicht. Warum hat er auf ihn geballert? Zeitungen rufen die Erinnerung an Todesopfer wach, die ebenfalls von Polizisten erschossen wurden. Keine Kriminellen, sondern Verwirrte.

2010: Reyal Jardine-Douglas, bewaffnet mit einem Messer. 2008 Byron Debassige, stahl einige Zitronen, bewaffnet mit einem kurzen Messer. 2004: O´Brien Christopher-Reid, Messer. Häufig gab es Forderungen und Versprechen, die Polizisten besser zu schulen. Für Krisensituationen wurden Regeln aufgestellt und gelehrt. Offenbar war das nicht genug.

Torontos Polizei ist in Verruf geraten. Nicht allein wegen der tödlichen Schüsse. Beim G20 Gipfel 2010 prügelten Beamte friedliche Demonstranten nieder. Sie mauerten beim Versuch, vor Gericht gute von schlechten Polizisten zu scheiden. Einige weigern sich, Namensschilder zu tragen.DSC_7195Überraschend ist, dass Sammys Mutter Sahar Bahadi besonnen sagt: „We want to make clear that we do not hold any ill will against the thousands of police officers who work to protect us each day.“

Hätte Sammys Tod einen Aufschrei ausgelöst, hätte Markus Grupp die Szene nicht mit seinem Smartphone gefilmt und das Video auf Youtube geladen? So gibt es nicht nur die 22 Zeugen, die Uniform tragen – übrigens alle von Constabler F.s 14. Division. Sondern es gibt Videobeweise. Die ganze Stadt sieht, wie Sammy stirbt.DSC_7229(Bildquellen: Videos Youtube. Portrait Sammy: Toronto Star)

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