Die Zukunft. Was würde ich dafür geben, wüsste ich, wie sie aussieht. „Die Glaskugel ist natürlich am besten. Der Blick kostet 40 Dollar. Tarot-Karten legen 30 Dollar“, sagt Jenna. Für läppische 10 Dollar beim Palm Reading dürfe ich nicht zu viel Wahrheit erwarten. Da könne sie zwar in meine Zukunft sehen, nicht aber in die anderer Personen, (was freilich spannend wäre).
„Helps in all Problems“ (sic), „Psychic Reader and Advisor“, hat es mir an der Dufferin Street in bunt flimmernden Leuchtschrift zugerufen. Cristal balls, tarot cards, palm reading. „Walk right in“. Genau das brauche ich, so ratlos wie ich bin. Also saugt mich Jennas 10-Quadratmeter-Klause ein.Als ich durch die Tür schreite, fläzt sich Jenna vor dem Fernseher auf einem Sofa. (Sie hat mich nicht kommen sehen, hahaha.) Sie stemmt sich hoch, und ich bin enttäuscht. Die Frau erinnert mich an Trude Herr und hat nichts Mystisches, Psychedelisches, Transzendentes. Ich werde einen Teufel tun, so einer Person 40 Dollar für ihre blöde Kugel in den Rachen werfen! Für Hokuspokus!
Nee, ich werde ihr lediglich meine Pfoten zeigen, obwohl die Kristallkugel auf dem Tischchen vor mir doch verlockend aussieht. Dass die Tarot-Karten, daneben aufgefächert, abgegriffen sind, verrät mir: Die werden häufig befragt. Von unscheinbaren, grauen Kieselsteinen in einer Schachtel halte ich nichts, obwohl sie sich positiv auf Geld, Liebe oder Gesundheit auswirken, wie ich erfahre. Ich beschränke mich auf die Aussagekraft meiner Hände. Griffel gucken muss genügen.
Jenna – ich darf sie nicht fotografieren, sie dürfte um die 30 sein – sitzt mir auf einem Hocker gegenüber, sie lehnt sich so tief nach vorn, dass mein Blick zwischen ihrem Ausschnitt und meinen ausgestreckten Handflächen pendelt. Jenna starrt ein paar Sekunden lang auf meine Hände, das sieht so verkniffen aus, als hätte sie ihre Lesebrille vergessen. Ich versuche, Räucherstäbchen oder Patschuli zu erschnuppern: Nichts.
Plötzlich donnert Jenna los. Ihre Stimme klingt völlig verändert. Jetzt geht es nicht um Zaster sondern um Zukunft. Bedrohlich und laut spricht mein Orakel. Mist, denke ich, wann habe ich zuletzt meine Finger gewaschen? Vielleicht ist sie sauer, weil ihr Blick im Dreck stochern muss, um meine Zukunft unter dem Schwarz meiner Nägeln hervorzusehen, und alles ist verdorben, 10 Dollar verschleudert.
„Das Gute“, höre ich Jennas Donner und denke „deine Hände sind sauber“, aber sie: „Du wirst lange Leben.“ Erst mit Ende Achtzig, Anfang Neunzig würde ich in die Grube fahren. Toll, denke ich. Gleich schreit der Pessimist in mir: Was, liebe Jenna, wenn ich veramt und krank ins Alter sieche?
Mach dir keine Sorgen, weiß meine Wahrsagerin. Krankheiten sieht sie keine. Wohl aber, dass ich ein guter Mensch sei.
„Hast du eine Geliebte“, will Jenna wissen. Keine Ahnung warum, aber ich lüge. Ich verleugne meine Freundin (Sorry, Schatz). Jenna stiert jetzt besonders scharf und sieht die große Liebe für mich kommen. Sogar von Heirat spricht sie. Es ist keine Kollegin, die ich ehelichen werde, sondern jemand aus dem Freundeskreis. Nicht meine zweite oder dritte Liebe. (Ich verschweige, dass ich geschieden bin. Sonst wird die Zählung unscharf.) Allerdings sind vor der glücklichen Partnerschaft einige „Obstacles“ zu überwinden.
Mich packt Reue. „Ich habe geflunkert. Da ist eine Frau in meinem Leben.“ Jenna guckt kurz zerknirscht, hält mir aber keine Standpauke über Wahrheit und Pflicht. Die „Obstacles“ blieben dieselben. „Welche sind das“, dränge ich. „Das musst du herausfinden!“, orakelt sie. Klingt ziemlich vage.
Dafür wird Jenna bei Geld und Job konkret. In 8 bis 10 Wochen wird sich etwas ändern, etwas klären, etwas voran gehen. Gerade sind meine Finanzen ja unsicher, klärt mich Jenna unnötigerweise auf. In wenigen Wochen tritt Besserung ein! Jenna, sag das noch mal! „In 8 bis 10 Monaten…“ Hä, Monaten statt Wochen? Ich hake nicht nach, ich will nicht riskieren, dass sie schließlich Jahren spricht.
„Du wirst nicht arm sein, nicht reich sein“, gibt mir Jenna mit auf den Weg. Gut, 10 Dollar ärmer bin ich fürs erste auf jeden Fall.
Kaum habe ich Jennas Wirkungsstätte verlassen, macht sie Feierabend. Sie schließt die Ladentür ab. Als ich sehe, dass sie eine Einlaufstüte vom Discounter „No frills“ trägt, bin ich enttäuscht. „Kein Schnickschnack“.
Meine Lieblingspsychöse ist so profan.