Der Staatsanwalt und die Rebellenführer

Die Situation ist grotesk. In einem Gerichtssaal in Stuttgart sitzen sechs Richter, zwei Staatsanwälte, vier Verteidiger und zwei Angeklagte. Der Zeuge sitzt in Kigali, Ruanda, im Herzen Afrikas. Theogewe N., ein schmächtige Mann, war Funker der Rebellenarmee FDLR, die im Grenzland zwischen Ruanda und dem Kongo marodierte. Ein einfacher Soldat, durch dessen Hand jedoch Befehle von höchster Ebene gingen. Jetzt sagt er gegen die Befehlshaber von damals aus: Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni. Die Bundesanwaltschaft klagt sie wegen Kriegsverbrechen an.Ruanda Schädel

Für die Stuttgarter und Badische Zeitung habe ich eine Zwischenbilanz nach mehr als 200 Prozesstagen geschrieben. Der Text wurde vom Journalismusportal reportagen.fm zu den drei lesenswertesten Geschichten der Woche gekürt.Theogewe N. kann von den Grauen des Krieges berichten – und muss heute stattdessen erklären, wie viel Benzin der Generator verbraucht hat, mit dem sein Funkgerät betrieben wurde. Wie viel Benzin benötigt eine Rebellenarmee während der Regenzeit, wenn Solarzellen nicht genug Strom liefern? Andrea Groß-Bölting, Verteidigerin von Musoni, muss das genau wissen.

Der Zeuge wirkt irritiert. Der Ex-Soldat will über die Befehle aussagen, die 2008/9 zum Blutbad in Busurungi und anderen Dörfern führten, wo 214 Zivilisten umgebracht wurden, und die deutschen Juristen diskutieren, ob die Sprechtaste auch Funktaste genannt wird und – ganz generell – ob beim Funken gesprochen wird. IMG_3723

Als er am vorangegangenen Verhandlungstag von den Richtern befragten wurde, war es noch um die Befehle im Dschungelkampf gegangen. Und nun: eine Einführung in den militärischen Mobilfunk.

Er wisse nicht, wie die Fragen das Verfahren voran brächten, mäkelt Oberstaatsanwalt Christian Ritscher. Vielleicht kennt er sich mit der Technik aus, vielleicht interessiert sie ihn weniger als die Kriegsverbrechen.

Schließlich will der Zeuge nach Hause. In Kigali wird es früher dunkel als in Stuttgart, und er hat einen weiten Heimweg. Kommenden Montag wird er wieder auf dem Zeugenstuhl in Kigali Platz nehmen und geduldig Fragen beantworten.

(Die Fotos entstanden während einer Ruanda-Reise 2001. Das erste Bild zeigt ein Mahnmal für den Genozid von 1994, das zweite Bild ein Flüchtlingslager an der Grenze zum Kongo.)2014 Kriegsverbrecher reportagen-fm

Auf beim Reporter-Forum wurde die Geschichte lobend erwähnt:

Ritscher Kriegsverbrecherprozess Reporter-Forum

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